ZUM ERSTEN MAI: Solidarisch ist man nicht alleine

Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte wird es keine Demonstrationen und öffentliche Feiern zum Tag der Arbeit geben. Anlass für Demonstrationen gäbe es jedoch genug: Viele Angestellte, Freiberufler*innen, Handwerker*innnen sind ohne eigenes Verschulden über Nacht aus ihren bisherigen Beschäftigungs- und Einkommensverhältnissen gerissen worden - andere, wie die Menschen im öffentlichen Gesundheitswesen, mussten innerhalb weniger Wochen das Land und sich selbst gegen eine Pandemie rüsten - und das oft ohne ausreichende Schutzausrüstung.

2020 wird ohnehin bereits als das Jahr in die Geschichtsbücher gehen, in dem lauter "erste Male" stattgefunden haben. Für viele waren die letzten Wochen geprägt von den ersten - mitunter täglichen Videokonferenzen, zum ersten Mal aus dem hastig eingerichteten Homeoffice, das je nach Familiensituation gleichzeitig als Krabbelstube, Kindergarten oder Kleinstschule dient. Alle, die in den letzten Jahren gegenüber ihren Arbeitgebern bei dem Wunsch auf bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf Heimarbeitsregeln auf Granit gebissen hatten, konnten sich nun erstaunt die Augen reiben, was auf einmal doch möglich ist. Der Geist dazu ist nun aus der Flasche und wird auch nach dem Sieg gegen das neuartige Coronavirus nicht mehr einzufangen sein.

Digitalisierung kann nicht nur während der Pandemie helfen, dass soziale Kontakte weiterhin ohne physischen Kontakt aufrecht erhalten werden. Dass Behördengänge weiterhin möglich bleiben, dass Menschen unabhängig von ihrer Behinderung oder Erkrankung am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen können. Es ist keine Übertreibung, dass hier in zwei Monaten digitalisiert wurde, was sonst der Fortschritt von mehreren Jahren gewesen wäre.

Nicht nur, wo und wie wir arbeiten, wird für viele Berufe neu verhandelt werden. Die Krise hat mit einer tödlichen Vehemenz vor Augen geführt, welche Arbeit systemkritisch ist, welche Arbeit unverzichtbar ist, weil sie es erst möglich macht, dass die Gesellschaft funktioniert und andere Arbeit erfolgen kann. Die Krise macht auch deutlich, wie ungleich diese Berufe entlohnt und behandelt werden. Wie notwendig als Gesellschaft es ist, nach dieser Krise neu auszuverhandeln, ob wir die mangelnde Wertschätzung des gesellschaftlichen Beitrags dieser Berufe weiter zulassen wollen und können.

Genau jetzt braucht es daher starke Gewerkschaften und einen solidarischen Kampf für eine gerechtere Gesellschaft. Genau jetzt bräuchte es Massendemonstrationen und ein enges Zusammenstehen. Weil Solidarität in der gegenwärtigen Situation als allererstes bedeutet, andere nicht zu gefährden muss darauf schweren Herzens verzichtet werden.

Aber wir alle stehen gemeinsam in der Verantwortung, dass die lange bestehenden gesellschaftlichen Missstände, die in dieser Krise besonders scharf hervorgetreten sind nicht vergessen werden. Sei es der Überhand nehmende Gewinndruck im Gesundheitswesen, die Arbeitsbedingungen, Bezahlung und gesellschaftliche Anerkennung für Kassierer*innen, Erzieher*innen, LKW-Fahrer*innen und viele mehr. Sei es die existentielle Angst vor dem Jobverlust, weil Hartz IV mit sozialem Stigma, Durchleuchtung des Privatlebens und lebensfremder Berechnung des Existenzminimums droht.

Möge von diesem Tag der Arbeit 2020 die Botschaft ausgehen, dass wir als Gesellschaft die Lehren aus der Krise nicht vergessen werden.

 

Ein Beitrag von Marie Schäffer
Marie sitzt für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Stadtverordnetenversammlung Potsdam und im Landtag Brandenburg.

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